Film- und Serienkritiken

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Von Datenkraken und der Allwissenheit des Netzes

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Immer wieder gibt es in Zeitschriften wie „ZEIT Wissen“, „SPIEGEL“, „Focus“ und „CHIP“ aufgeregte Geschichten darüber, dass die Industrie alles über uns weiß: Im Internet sind wir gläsern wie die Kristallglaslampe, die mir nach dem Schreiben dieses Wortes sicherlich gleich angeboten wird. Ihr fahrt am Wochenende an die Nordsee? 10 Hoteliers rufen Euch dann schon an, bevor ihr Eure Freundin überhaupt gefragt habt, ob sie möchte. Ihr wollt Euch eine teure Kamera kaufen? Zack, Schlecker.de schreibt Euch mit Sonderangeboten für Fotobücher. – Oder ist doch etwa alles ganz anders?


A-A-Angst macht sich breit: Tausende Cookies verfolgen den Nutzer auf Schritt und Klick, wie digitales Gebäck mit winzigen Lupen und Notizbüchern. Kombiniert man diese Daten mit Facebook, Google und den Helferlein vieler anderen Unternehmen, gibt eine ganze Keks-Branche vor, genau zu wissen, welche Werbung EXAKT auf den User passt. In der selben Millisekunde, in der ein User eine Seite betritt, wird dessen Profil durchleuchtet, von Computern gehandelt und dann eine von vielen vorliegenden Anzeigen geschaltet, die A) aussichtsreich erscheint und B) dem Anzeigenvermittler das meiste Geld einbringt. – Liest man den aktuellen SPIEGEL-Titel dazu, hat man tatsächlich das Gefühl, den PC-Lautsprecher abschalten zu müssen. Es könnte ja jemand raunen: „Heeey, Duuuu! Du magst doch Bananenmarmelade, oder etwa nicht?“

Vielen macht es Angst, dass die „Industrie“ (so eine Art janusköpfiges Monster am Ende der Straße, könnte ihr nicht verfehlen) alles über einen weiß. Vielleicht muss man sich ja Gedanken darüber machen, ob man wirklich für einen Bekannten nach einem billigen Kleinwagen (gebraucht!) googeln sollte, schließlich könnte die eigene Kreditwürdigkeit unter dem Einfluss dieser blechernen Datenzeitbombe leiden? Und kann ich Online wirklich noch eine Lebensversicherung abschließen, wenn ich vorher auf Krebs- und Selbstmordseiten herumgesurft habe? Bekomme ich für den Rest meines Lebens Babylatzreklame statt dem cooleren Viagra-Spam, weil ich für mein Patenkind über Amazon einen Beißring bestellt habe?

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„Boah, das Internet ist aber doof! Könnt ihr meinen Kopp nicht besser ausspionieren?!“ – Viele geben ihre Fragen tatsächlich so bei Google ein und wundern sich dann, statt des neuen Autos plötzlich eine ukrainische Heiratsschwindlerin vor der Tür stehen zu haben. Hier muss die Maschine noch klüger werden als der durchschnittliche Berufsschulabbrecher.

Ich sehe das Ganze etwas lockerer. Nach außen hin muss die Profilerbranche natürlich mit ihrer angeblichen Allwissenheit werben, denn die Kunden werden kaum Anzeigen bei jemanden buchen, der zugibt, nicht mal das Alter oder Geschlecht von IP-Adresse 66.249.72.143 zu kennen, es aber mit einer 53,6%igen Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können. Vielleicht sind es aber auch 2 (oder mehr) Nutzer, die sich den Laptop teilen, weswegen Papa manchmal auf Porsche.de herumsurft, während die Dame des Hauses nach Kuchenrezepten mit Hackfleisch googelt. Oder umgekehrt, mal so ganz rollenketzerisch betrachtet.

Nimmt sich die Branche aber selbst sooo ernst, dass ich in einem krampfhaft herbeiphantasierten Szenario einen echten Nachteil im Alltagsleben hätte, da Mensch und Profil nicht zusammenpassen? Meldet Amazon mich beispielsweise bei der GEZ an, weil ich einen Fernseher bestellt habe? Bekomme ich meinen Kredit nicht, weil alle meine Freunde auf Facebook minderbemittelte Assis mit unmöglichen Lieblingsfilmen sind? Bekomme ich das bestellte Brautkleid nicht zugeschickt, weil ich aus nervlichen Gründen alle im Internet bestellten Waren innerhalb von 14 Tagen zurücksende? Vom Dobermann angekaut, selbstverständlich?

Gut, das alles könnte irgendwann einmal passieren. Doch solange das System Lücken hat, weiß das natürlich auch die Industrie und wird mir den Neuwagen nicht deswegen verwehren, weil ich auf www.scheckkartenbetrug.de (womöglich eine Satireseite!) der Forenadministrator bin.
Ich, der ich vor allem auf Medien-, SciFi-, Wissenschafts- und Videogameseiten herumsurfe, machte den Test: Wie clever ist das vernetzte, hochgezüchtete Informantennetzwerk bei der Auswahl der Werbung? Da ich bei Google surfe, maile und mich generell nicht verstecke oder Surfspuren verwische, müssten die Datenkraken alle Saugnäpfe voll mit Geheiminfos haben.

www.spiegel.online.de:

„Nivea for Men“ mit Jogi Löw. Auch bei der zehnten Aktualisierung balanciert der fesche Ball-ophile seine Glückskugel vor blauem Hintergrund. Also weiß der SPIEGEL wohl, dass ich kein Weibchen bin. Liegt das an den Erotikseiten, auf die ich versehentlich mal gesurft sein könnte? Oder daran, dass ich vorher bei ign.com und arte.de vorbeigesehen habe, wo es aus nachvollziehbaren Gründen (Frauen interessieren sich nicht mal für EINE interessante Sache, siehe eine beliebige Frauenzeitschrift) eher Männlein gibt? Trotzdem: Spricht mich nicht an. Mag den Löw nicht. Fußball affig. – Affen, die mag ich!

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„Nein, ich habe schöne Haut, danke sehr! Wobei…? Trekkie… Haut…?“ – Verschwörungstheorien bitte in das leere Döschen einfüllen und dann beim Konzern abgeben.

www.t-online.de:

Postbankwerbung. Toll. Passt zu jedem, der weiß, dass man Geld nicht nur in der Matratze aufbewahren kann. Und ich gehöre auch nicht zu denen, die alle 12 Monate die Bank wechseln, weil’s woanders 0,3% mehr auf’s Festgeld gibt, wenn ich für exakt 3,5 Jahre anlege und gleichzeitig ein zweites Girokonto für einen guten Bekannten beantrage, der mindestens 3 Muttermale auf dem Arm hat.

www.youtube.com

„Die Klitschkos, der Film. Ab dem 7.1. auf McFit.com“ – What zum Teufel…?! Low-Budget-Bekloppten-Komödie für Pump-Prolls? Bin langsam echt enttäuscht. Keine Videospielreklame, keine Star-Trek-Strampelanzüge, keine tollen Filmangebote! Bin ich immer noch nicht gläsern genug?!

www.yahoo.de

„Swiffer Staubmagnet“ – Ach Du Scheiße! Sie wollen, dass ich die liebevoll gezüchtete Fusselkruste in meiner Wohnung beschädige! Die Schweine! Ich beschließe, den dümmlichen Datensammlern etwas unter die labbrigen Cookiearme zu greifen und besuche nacheinander die Videospieleseiten planetds.de, wiix.de und gametrailers.com. Das müsste helfen. Darf ich jetzt eine günstige PS3 kaufen, bitte? (*Klick*)

www.bild.de

„TUI – Metropolen der Welt entdecken“ – Toll. Flugreisen statt Flugsimulator. Und das, obwohl ich praktisch nie verreise, höchstens im Geiste. Okay, die sind alle doof. Die Werbeindustrie würde beim Lottospielen vermutlich auch nur 5 Zahlen ankreuzen, weil sie die sechste beim Würfelspiel verzockt hat.

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„Und täglich grüßt das Krakentier“ – Okay, ich will hier auch nichts verharmlosen, aber Artikel wie diese lesen sich immer so, als hätte ich erst Gestern auf einen Datenspanner gekackt, der sich als Lokus verkleidet in mein Badezimmer geschlichen hat. Selten werden zum Ausgleich mal unaufgeregtere Töne angeschlagen…

Keine Spur von der Allwissenheits-Dramatik des mehrseitigen SPIEGEL-Artikels in dieser Woche. Okay, ich mache es ihnen NOCH einfacher: Amazon kennt mich nach 10 Jahren Dauerbestellungen extrem gut, fast wie der Freund, den ich nie wollte. Was bietet mir der Verein also an Waren an, wenn ich mich direkt einlogge und penetrant danach frage?

Immerhin, der große Scheißhaufen bleibt aus. Keine Küchenquirl-Reklame oder Heimatroman-Angebote. Zu sehen sind größtenteils DVDs, Bücher, Videospiele, die ich noch nicht habe und gut in meine Genres passen. Zumindest die DVDs soll ich mir aber auf einem NEUEN Fernseher ansehen, den ich in dieser Größe schon besitze und bereits bei Amazon gekauft habe. Keine „If_tv-section=lastbuy

Fazit: Sicherlich bietet der Wissenhunger der Datensammler sowie neue technische Möglichkeiten viel Raum für „Big Brother“-Vergleiche, die irgendwie nie alt werden. In der Praxis ist das System aber so doof, dass man seine personalisierte Werbung schon krampfhaft erflehen muss. Und was meine Freunde auf Facebook angeblich über mich verraten sollen, weiß ich auch nicht. Alle paar Tage irrlichtert dort so ein Kaputter rum, den ich nicht kenne und der mein Freund werden will. Soll er. Freunde kann man nie genug haben. Bierchen, anyone? Du weißt ja, wo mein Kühlschrank steht, mein lieber Sabertoothrider_1982, oder?

Mich würden allerdings schon sehr die Erfahrungen von anderen Usern interessieren, die jeden persönlichen Pups maschinenlesbar auf Facebook oder Twitter hinterlassen. Facebook ist angeblich 50 Milliarden Dollar wert. Bei ca. 500 Millionen Nutzern müsste jeder 100 Dollar (plus x) einspielen. Wie das?!

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von Klapowski am 11.01.11 in All-Gemeines

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Kommentare (9)

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  1. Flyan sagt:

    Aaalso, als ich neulich einen 8pin Platinenstecker gesucht und gefunden hatte, kam tagelang auf verschiedenen Seiten Werbung von einer Elektronikkette und zwar genau für diesen 8poligen Platinenstecker. Ähnliches später mit dem IC4072N. Ein Lifestyle-Produkt erster Güte. Nicht zu vergessen: „Taster/Schalter Connection Cable“.

    Mein persönliches Fazit: Cookies ja, intelligente Werbung nein.

  2. Epi_Füt sagt:

    Ein Profil (das vom Reifen), egal wo erstellt, kann man eindeutig zuordnen wenn zweierlei Daten vom User (der von Tron) angegeben werden:
    1. Name, Nachname
    2. Geburtsdatum

    Anhand dieser Informationen kann man eindeutig identifiziert werden.
    Entsprechend sind zum Bleistift Facebook-Accounts mit richtigem Namen UND tatsächlichem Geburtsdatum angeblich 5 Euronen wert.
    Ohne Geburtsdatum lediglich 50 cent.
    Die restlichen 195 Euro sind wohl in dieser ominösen Blase, die letzthin schon die Börse kaputt gemacht hat.

  3. Dingens sagt:

    Ich denke, das ganze „Die Industrie weiß alles über uns“-Problem wird erst dann wirklich zum Problem, wenn/falls alle Informationen, die über mich im Netz kursieren, gebündelt werden (können). Man sollte sich natürlich bewusst sein, dass man unglaublich viele Spuren hinterlässt (nicht nur im Internet, siehe z.B. Handy, Kartenzahlungen, usw.), aber so lange es niemand schafft, alles zu kombinieren, ist der tatsächliche Angstfaktor doch eher gering. Und ein Freund von Verschwörungstheorien, wonach „die da oben“ und „die Industrie“ und „das Böse“ alle unter einem Hut stecken und mich manipulieren, war ich noch nie.

    Aber man sollte trotzdem nicht freudig alle seine intimsten Details ins Netz posaunen. Wobei ich das den Lesern dieser Seite hier vermutlich nicht sagen muss.

  4. AlfredSK sagt:

    The webpage at http://www.scheckkartenbetrug.de/ might be temporarily down or it may have moved permanently to a new web address.

    Ach, wie schade. Hätte mich wirklich interessiert.

  5. ted_simple sagt:

    Die Sache mit den 50 Mrd. $ ist nur Meinung von Goldman Sachs, welches gerade 0,3% der Anteile für 150 Mio. gekauft und damit zu erkennen gegeben haben, dass sie den Wert der Firma auf – hochgerechnet – 50 Mrd. schätzen. Vielleicht nur eine Strategie zur Befeuerung des Hypes, um sich später als exklusiver Vermögensverwalter den Eigentümern von Facebook anzubiedern…

    Ich fand den Artikel ziemlich gut. Das Merkwürdige ist sicher, dass darin über Missbrauch berichtet wird, den es so noch gar nicht (oder kaum) gibt – ungewöhnliche Grundlage für die Titelstory eines großen Nachrichtenmagazins. Ich fand den Aufhänger sehr gut, die Taxierung von Facebook auf 50 Mrd. hat mich nämlich auch beunruhigt. Irgendwie müssen sie das erwartete Geld nun einspielen.

    Als ich zum ersten mal auf FB war, dachte ich mir sofort, wenn das Netzwerk weiter so wächst, können die sich auf lange Sicht nur durch einen Obulus oder Veruntreuung der Kundendaten finanzieren. Ich hätte gegen ein paar Dollar im Jahr nichts einzuwenden, aber leider herrscht im Internet eine „alles muss umsonst sein“-Mentalität vor, die mich schon lange ärgert. Es ist natürlich nichts im Leben umsonst, und irgendwie muss sich der Serverpark ja finanzieren, der mittlerweile mehr Anfragen aus den USA beantworten muss als der von Google (!). Gerade Facebook finde ich wegen dieser Umstände beängstigend.

    Ich finde, eine Plattform, die per se dazu gedacht ist, mit Freunden und Bekannten Kontakt zu pflegen, während man nur Weniges für die Allgemeinheit veröffentlicht, sollte vertrauenswürdig sein. Ich will mein Profil nicht bei Wikileaks wiederfinden. SO habe ich Facebook bisher gesehen, aber Marc Zuckerberg hat da natürlich eine ganze andere Philosophie: Mit der Privatsphäre gehe es eh zu Ende und man solle möglichst viel veröffentlichen. Mir gefällt die Entwicklung überhaupt nicht und ich würde gerne gegen eine kleine Gebühr eine werbefreie Web-Oberfläche und die Zusage kaufen können, dass meine Daten nicht an Dritte (Werbefirmen) weitergegeben werden.

    (Man darf natürlich nicht vergessen, dass die $100/Person eine Prognose für den zukünftigen Wert des Unternehmens sind, und NICHT den jährlichen Umsatz pro Kunden darstellen. Ich müsste also nicht mit $100 Jahresgebühr rechnen… puh… und was wäre eigentlich an einer Abrechnung nach Seitenaufrufen verkehrt, wie bei einem Webserver? Wenignutzer zahlen $10, Vielnutzer bis zu $30 und die Sache ist gut!)

    Also kurz gesagt, bei den meisten anderen Seiten, selbst Suchmaschinen, habe ich keine großen Bedenken, aber wenn es an soziale Netzwerke mit persönlichen Profilen geht (unter Verwendung meines echten Namens…), ist die Werbewirtschaft für mich ein rotes Tuch. Es sei denn, es gäbe Transparenz und wirksame Kontrollen, was mit meinen Daten passiert, aber die Realität sieht ja leider ganz anders aus.

    Besonders schön fand ich den am Ende des Artikels beschriebenen Versuch mit dem Tausch 12 Dollar inkl. persönliche Daten vs. 10 Dollar ohne Herausgabe von Daten. Jeder Zweite tauscht 10 gegen 12, aber nur jeder Zehnte 12 gegen 10. Mein Gedanke in beiden Fällen: „Für 2 Dollar Unterschied gebe ich nicht meine Daten her!“ Aber Scharfsinn ist der meisten Leute Sache nicht…

  6. G.G.Hoffmann sagt:

    Erst auf Klapos Anregung hin habe ich gestern den SPIEGEL-Leitartikel zur Kenntnis genommen. Die Titelgeschichte lese ich eigentlich grundsätzlich nicht, da in der Regel länger als drei Seiten und so mitreißend wie der aktuelle.

    Seit 15 Jahren nutze ich die böse Krake schon. Und wenn man nicht gerade so blöd ist, sich als Leiter des Jugendamtes mit einem Nacktbild bei Facebook anzumelden, das um 03.00 Uhr auf dem Ballermann geschossen wurde, hat man eigentlich wenig zu befürchten. Auch frage ich mich, wen es ernsthaft interessieren könnte, daß von meinem Rechner aus, also nicht zwangsläufig von mir persönlich, ein Splattermovie sowie vier Paar Damenstrümpfe bestellt wurden und meine IP-Adresse sich in irgendwelchen Foren zu den Themen „Westerwelle doof?“ und „Niedersächsischer Eiersalat“ geäußert hat.

    Der SPIEGEL stellt, leider unzutreffend, fest, daß persönliche Informationen wie Telefonnummer (hui) oder Adresse (STASI!) früher nur einzelnen bekannt waren, heute aber alle Menschen darauf Zugriff hätten. Ich hingegen erinnere mich noch an ganz verückte Zeiten in den 90er Jahren, als jedes Postamt über eine Palette sämtlicher deutscher Telefonbücher verfügte, mittels derer man feststellen konnte, wo jemand wohnt, mit Vornamen heißt und welche Telefonnummer er hat. Diese Telefonbücher wurden sogar frei Haus geliefert, später sogar auf CD-ROM, selbst „die“ Industrie hatte darauf freien Zugriff.

    Street View? Skandalös. Wildfremde Menschen können mein Haus sehen. Schockt mich aber nicht wirklich. Da mein Haus in der historischen Anstalt liegt, existieren aus den vergangenen 140 Jahren ca. 80 Millionen Ansichtskarten, rund um die ganze Welt verstreut, die mein Haus von allen Seiten zeigen. Gelegentlich, also täglich etwa 400 mal, kommen sogar Touristen vorbei und schießen Fotos. Niemals wurden meine Vorvahren und ich danach gefragt, ob mir das recht ist. Und meinen 4000 Nachbarn in der historischen Altstadt geht es ganz genauso. Es soll in Deutschland sogar mehrere historische Altstädte geben. Womöglich sind Millionen betroffen! Frau Aigner, helfen Sie uns! Mein Schlafzimmerfenster kann man in Bildbänden bewundern. Menschen schicken Postkarten mit meiner Häuserfront durch die Welt. Falls ein Dieb auf den Gedanken kommen sollte, bei mir einzusteigen, muß er sich nur eine Ansichtskarte kaufen. Oder halt den Bürgersteig benutzen und sich das Haus live ansehen. Auch so ein Skandal. Verlange eine Augenbindenpflicht für alle Passanten!

    • Klapowski sagt:

      Viele verwechseln „Ihre“ heißgeliebte IP vermutlich mit ihrer eigenen Person.

      Oft sehe ich vor meinem geistigen Auge einen Datenschützer mit roten Kopf herumwüten: „Meine IP! Meine Daten! Gehört alles mir! Räuber! Diebe! Meins!“ – Kommen hier noch die Entbehrungen der Nachkriegsjahre durch, wo man froh gewesen wäre, wenn man eine IP auf dem Teller gehabt hätte, die man mit niemanden teilen muss?

      Das ganze „Spionagesystem“ ist so automatisiert, dass weder man selber noch die Serverbetreiber und Firmen irgendetwas davon mitbekommen. Mein Computer jagt ein paar Bits raus, die sich mit ein paar Bits der Gegenseite paaren und mir beim Gender-Wert 2,3445 halt Frauenwerbung schicken, bei 4,5520 hingegen Reklame für ’nen Eimer Autolack. Kein Praktikant sitzt bei Google, schlägt sich mit den Händen auf die Schenkel und ruft: „Mann, der Daniel aus Bielefeld! Die alte Pottsau! Pornos gucken und dann noch blöde Artikel zu viel zu alten Filmen schreiben! Wenn das seine Mutter wüsste. Ich glaube, ich rufe sie einfach mal an…“

      Was Street View angeht, habe ich mal versucht, in die Wohnzimmer meiner Nachbarn zu zoomen. Überraschend, wie wenig man sehen kann, wenn es draußen hell und drinnen dunkel ist. zu 99% sieht man nur ein schwarzes Rechteck, manchmal reicht der Blick bis zur Gardine oder ominösen Töpfen mit was Grünem drin. Ich glaube, ich werde hier einfach mal um die Ecke gehen um zu schauen, um was es sich da eigentlich handelte… Ob die es wohl hören, wenn ich mit der Nase über die Fensterscheibe reibe?

      Antworten
  7. G.G.Hoffmann sagt:

    Jaaaa! Aber man könnte, wenn man denn wollte, alle Daten zu einem Profil des Nutzers zusammensetzen, das, wie der SPIEGEL meint, dem Original immer ähnlicher werde, da die Menschen im Internet erschreckend ehrlich seien. Wirklich? Ich habe eher den Eindruck, die meisten nutzen das Internet wie eine Dauerkarnevalsveranstaltung: endlich mal hinter der Maske der Anonymität die Sau herauslassen und mit gefakten Meinungen lustige Reaktionen jener provozieren, denen ein Thema am Herzen liegt. Nur weil ich mich im Veganerforum „Tierfrieden“ als lustiger Jagdgeselle gebe, heißt das doch nicht, daß ich tatsächlich in meiner Freizeit unschuldige Hasenbabys abknalle, sondern vielmehr, daß ich Spaß am Quälen friedensbewegter Grundschullehrerinnen habe.

    Wenn ich bei Amazon eigenartige Literatur bestelle, muß ich nicht notwendigerweise selbst verschroben sein, sondern nur jemanden kennen (Oma), der sich für abgefahrene Themen interessiert und schon wieder Geburtstag hat. Daher deutet die Kombination der mir von Amazon unterbreiteten Angebote („könnte Sie interessieren“) für einen unbefangenen Dritten vielleicht darauf hin, daß ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Bei näherem Nachdenken könnte sich jedoch auch den Verschwörungstheoretikern des SPIEGEL erschließen, daß mich meine Interessen nur als soziales Wesen ausweisen, das auch an andere denken muß und deshalb gleichermaßen Kinderbücher wie Vorhängeschlösser kauft, ohne daß man deshalb gleich das Schlimmste im Sinn haben muß.

    Ein anderes Problem ist freilich, daß manche unbedachte Jugendsünde für ewig im Netz gespeichert sein kann, vielleicht sogar gegen den Willen des Betroffenen. Denn man wird sich ja wohl noch arglos auf einer Abifete betrinken dürfen, ohne daß man Jahrzehnte später mit den schönsten Bildern aus Schniedelkotzhausen im Netz konfrontiert wird, die irgendjemand zum 20-jährigen Abijubiläum online gestellt hat.

    P.S.: Habe ich oben geschrieben, ich wohnte in der „historischen Anstalt“? Sicher nicht ganz verkehrt, aber die Altstadt war gemeint.

  8. Donald D. sagt:

    @ G.G.H.: Nee, nee, das wird schon seine Richtigkeit haben. Du wohnst bestimmt in einer Anstalt!
    Was Facebook und Co.betrifft- wer sich dort verewigt, ist selbst Schuld, wenn mit seinen Daten Schindluder getrieben wird. Zum Kontaktieren von Freunden und Verwandten reicht schließlich auch ein Telephon. Ist sowieso viel besser, denn die Nachrichtendienste wissen zwar, wie man Computer ausspioniert, haben aber das Anzapfen von Telephonen verlernt.

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