Film- und Serienkritiken

Der Latinum-Standard des Star Trek Universums

„Stalker“ (1979) – Das Klassiker-Review

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Wenn ein Mann mit Namen Klapowski die Worte Strugatzki und Tarkowskij nennt, dann sind Ost-Wochen auf Zukunftia.de! Diesmal durchstreifen wir das sowjetische Hinterland, um in alten Wasserrohren nach dem Sinn des Daseins zu tauchen. Dabei stellen wir uns viele Fragen: Darf man z.B. über jene Wiese gehen, oooder ist der Weg durch die Entengrütze die sicherere Wahl? Und was ist, wenn in einem Wald ein Baum in eine Raumanomalie fällt – aber niemand sieht es? War die Anomalie dann überhaupt da?


Inhalt: Drei Männer suchen in der „Zone“ – einem mysteriösen, von Anomalien geprägtem Gebiet – nach einem Zimmer, das alle Wünsche in Erfüllung gehen lassen kann.

Doch ein Trailer zu Beginn sagt mehr als 1.000 Fragezeichen:

https://www.youtube.com/watch?v=sMGA2wMuiP4

Tja, SO kann man es als Regisseur natürlich auch auf sein Intellektuellen-Abzeichen hinweisen: Man nimmt seinen Charakteren fast jede situationsbedingte Motivation (wie z.B. „Nicht stundenlang im Wasser stehen wollen“) und lässt sie stattdessen unter dem bloßen Namen „Schriftsteller“, „Physiker“ und „Stalker“ ihre eigene Lebenskrise aufarbeiten.

Und dabei auch noch die der gesamten Menschheit. Worin auch immer GENAU deren Problem liegt… – Zu wenig Kunst? Zu viele Kriege? Kriege nicht kunstvoll genug? Zu wenig Goethe-Zitate im Duden?

Eigentlich geht es „nur“ darum, den Sinn des Lebens zu finden. – Oder ihn eben NICHT zu finden und die bereits gefundenen Bruchstücke ängstlich im Komposthaufen zu vergraben. Denn am Ende (SPOILER) sind alle verwirrter als vorher. Weswegen man mit schiefstehenden Mundwinkeln in der Eckkneipe „Zum weinenden Bücherwurm“ abhängt. Wie schon zu Beginn.

, „Stalker“ (1979) – Das Klassiker-Review

Das Cover sagt einem schon, wo es langgeht: In einem Zelt, das der Einfachheit halber „Flussbett“ genannt wird, ruhen sich Protagonisten bei ihrem Weg durch die „Zone“ aus. Das triggert natürlich wilde Hunde, die die Helden für ihren persönlichen Toilettenbaum halten.

Die meisten Dialoge sehen etwa so aus:

Physiker: „Wir müssen uns die Welt begreifbar machen! Mit den Regeln der Physik. Die HIER übrigens nicht gelten, welch ein Jammer.“
Schriftsteller: „Zum Erklären und Begreifen ist MEIN Berufsstand ja da. Aber… ach jeee… Ich traue mir das gar nicht zu! Ich bin nämlich gar nicht so knorke, wie alle… äh… keiner denkt.“
Physiker: „Haha, das wundert mich nicht. Sie sind ein besserwisserischer Stümper, eine Null, eine Niete.“
Schriftsteller: „Ich behauptete nicht, dass ich mehr wäre! Hm. Darf ich daher als Dreck unter ihren Fingernägeln einen Nebenjob annehmen?“
Stalker: „Seien Sie still. In der Zone muss man Ehrfurcht hab, sonst macht sie nämlich, dass die Milch sauer wird!“
Physiker: „Ehrfurcht ist kein naturwissenschaftliches Konstrukt. Sie ist nicht geeignet, etwas zu erklären! All diese großen und beeindruckenden Dinge der Welt!“ (*durch Distelgebüsch latsch und in Pfütze tret*)
Schriftsteller: „Aber Worte wie ‚Ehrfurcht‘ sind dazu da, unser Dasein besser verständlich zu machen. Ich habe dazu bereits einen fünfminütigen Monolog vorbereitet…“
Stalker: „Seien Sie still! In der Zone darf man keine Monologe halten. Das mag sie nicht! Sie mag Achtsamkeit, Umwege und Erdbeeren mit Sahne drauf.“
Physiker: „Apropos Umwege… Wie kommen wir eigentlich zurück?“
Schriftsteller: „Ich weiß gar nicht, ob ich zurück will. Ich… *Schnief*… weiß überhaupt nichts mehr.“
Stalker: „Es ist nicht gut, wenn sie nichts wissen! Das mag die Zone gar nicht!“

Ihr seht schon… Hier ist permanent Schwurbel-Alarm angesagt.

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„Oh, Gott! Dieser Raum ist furchtbar! Wieso liegen da überall tote Menschen? Man sieht ihnen die Krämpfe und Todesqualen immer noch an!“ – „Oh, das sind nur die Testgucker unseres Films.“ – Er schleimte mich voll: Von der Decke hängen oft Gelfäden und anderer Unrat. Oder, wie man es in deutschen Großstädten nennen würde: „Sonderausstattung, die eine Mietpreiserhöhung rechtfertigt“.

Nichts gegen Metaphern und abstrakte Gedanken, aber im Gegensatz zu „Solaris“, wo man die Motive der Charaktere noch nachvollziehen konnte („Meine verstorbene Frau ist wieder da. Wie erkläre ich das dem Einwohnermeldeamt?“), wird es hier noch schwieriger mit der Oberstübchen-Justierung.

So kommt im Zuschauer der Verdacht auf, dass Tarkowskji die Stilmittel der Utopie lediglich dafür nutzt, um Selbstgespräche zu führen. Okay: So ein 160-minütiger gedanklicher Kreisverkehr hat vielleicht auch seine Reize… WENN man nicht gerade eine werkgetreue Umsetzung des Strugatzki-Romans „Picknick am Wegesrand“ erwartet hat. Die gibt es nicht – im Gegenteil: Die Brüder Strugatzki durften das Drehbuch gleich ein halbes Dutzend Mal umschreiben. Und die anderen Katastrophen (Filmmaterial verbrannt, Filmrollen grünstichig, Locations standen nicht zur Verfügung) sind da noch nicht mal eingerechnet.

Klar, die Figuren stehen für verschiedene Aspekte des Daseins, aber am Ende des Tages weiß keiner, WAS hier im Vordergrund geht. Und wenn doch, wie lange überhaupt. Kann das geheime Zimmer überhaupt alle Wünsche erfüllen? Oder ist man hier dem lokalen Touristen-Fänger auf dem Leim gegangen? Zumindest fällt auf, dass das „Wunsch-Zimmer“ verdächtig nach einer unter Wasser stehenden Industriehalle aussieht – natürlich mit alten Plastikflaschen drin. Da kennen Künstler ja nix.

, „Stalker“ (1979) – Das Klassiker-Review

„Günther, die Nachbarn glotzen schon wieder bei uns rein. Die sollen sich lieber um die Blätter in ihrem Vorgarten kümmern. Sieht totaaal unordentlich aus!“ – Toxic Masculinity im wahrsten Sinne des Wortes: Man nähert sich langsam dem heiligen Objekt des Gebäudes. Das sicherlich nur zufällig wie ein Fass Batteriesäure aussieht…?

Es klingt makaber, aber: In Sachen Ursache & Wirkung merkt man sich am ehesten, dass viele der Schauspieler (und Tarkowskij selbst) wenige Jahre nach dem Dreh an Krebs verstorben sind. Dass man tagelang durch den Schaum von echten Chemieabfällen gelatscht ist, könnte dabei durchaus eine Rolle gespielt haben.

Klar, die Figuren einfach nur durch die Vergänglichkeit des Seins, aber mir war diese Erkenntnis teilweise zu wenig.

Will der Stalker überhaupt bei der Wunscherfüllung helfen? Oder erfreut er sich nur an seinen – mehr oder weniger nachvollziehbaren – Kommandos? („Bitte dreimal im Kreis drehen und ständig Mullbinden vor sich werfen. Und immer an Oma Friedlinde denken. Das mag die Zone total gerne!“) Ja, hier gibt es so viele denkbare Interpretationen, dass es frustrierend ist, die ersten zwanzig Varianten im Kopp einigermaßen abzustreichen bzw. hochzuleveln.

So könnte das Ganze z.B. als Zivilisationskritik durchgehen, als politische Polter-Parabel (= Führt uns die Politik auch in die Irre?), als quasi-religiöses Machwerk (die Effekte der Zone muss man dem Stalker einfach glauben, denn wir sehen sie quasi nie!), als letztendliches Lob an die Familie („Mein Mann ist ein Arsch und immer weg, aber ich mag ihn trotzdem!“), oder gar als Bankrotterklärung an die „Alten“, die einfach nur durch die junge Generation ersetzt gehören. Dann aber bitte gleich mit PSI-Fähigkeiten, wenn’s geht.

, „Stalker“ (1979) – Das Klassiker-Review

„Blöde Dünen! Wie soll ich denn so meine Picknickdecke aus Quecksilber wiederfinden?“ – Lieber ein Schwarzes Loch im Kopf als Sand im Schuh: Eines der ikonischsten Bilder im Film ist dieses hier.

Ein bisschen mehr Fleisch am Storyschinken wäre hier voll okay gewesen. Klar, die Bilder sind beeindruckend mit ihrer verschimmelten Industrie-Romantik. Aber nur, weil man hier quasi die Kaulquappen aus dem Fernseher schwimmen sieht, muss die Bedeutung ja nicht megatief sein.

Dazu kommt, dass der Film einem absichtlich Schnitt-“Fehler“ vorsetzt: Einmal sind die Figuren hier, dann eher woanders. Mal kommen sie dort raus, wo sie reingegangen sind, erwecken aber den Eindruck, vorangekommen zu sein. Da die Seltsamkeiten selten thematisiert werden und die Hauptfiguren sich für ihr Mittagsschläfchen gerne mitten in’s Schlammloch(!) legen, ist nie ganz klar, was jetzt real und wichtig ist.

Aber okay, das will man ja auch sein: Ein verstörender SF-Film, bei dem die einzigen sichtbaren Effekte der „Zone“ aus staubigen Sandhügeln in der Industriehalle bestehen (haben etwa nur TERMITEN die Antwort auf alles?).

Und der sogenannte „Fleischwolf“ am Filmende scheint nur ein Effekt zu sein, der einem im Kopf eine weitere Lebenskrise beschwert – bis man umkippt und altmännerhaft vor sich hinschimpft. Das kenne ich alles aus meiner Verwandtschaft und ist fast schon am wenigsten verstörend.

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„Nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass Jesus all das hier nicht gewollt hätte. Er mag nämlich ECHTE Science-Fiction-Filme.“


Fazit: So wie die Figuren im Film auf der Suche nach dem Sinn durch Zecken-Gräser taumeln, so strauchelt auch der Zuschauer durch die Film-Landschaften – und kratzt sich ratlos die Haare fettig.

Und wenn am Ende die Figuren in die Kamera gucken und einen fragen, WARUM man überhaupt aufgebrochen ist, hält einen nur die eigene Intellektuellen-Würde davon ab, einen Troll-Versuch beim Regisseur zu vermuten.

Trotzdem: Die Bilder und die mysteriöse Stimmung halten sich noch nach Tagen im Kopf. Das macht das Werk vermutlich zu einem sehr guten Kunstprojekt, aber zu einem eher mittelmäßigen SF-Film.

Wertung als reiner Kunstfilm:

ACTION
HUMOR
TIEFSINN
ALLES IN ALLEM

Wertung als Unterhaltungs- bzw. SF-Film:

ACTION
HUMOR
TIEFSINN
ALLES IN ALLEM
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Artikel

von Klapowski am 22.06.20 in Filmkritik

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Kommentare (1)

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  1. Knubbelnase sagt:

    Ja …..
    „Leider“ ist dies keine echte Verfilmung des Stalker Buches, aber es wäre ja mal interessant, die Vorlage vom Buch richtig umzusetzen.
    Die Kritik finde ich sogar richtig gut, man merkt die Verzweiflung, jetzt doch mal wenigstens EINEN Teil des Films zu verstehen. Da fahren drei alte weiße Männer auf einer Lore minuten- ( gefühlt stunden- ) lang durchs grüne Gras, erst in schwarzweiss, dann sogar in echter Farbe. Geredet wird nicht viel und wenn dann voller Zweifel und eher tiefsinnige Sachen. ( Warum ist das Grün so grün? )
    Wer das Buch nicht gelesen hat, wird nach dem Film fragend zurückblicken. Und wer das Buch gelesen hat, wird die „orginelle“ Umsetzung als Film ein wenig bedaudern. Da wäre noch so viel mehr drin gewesen.
    Aber auch wie bei Solaris hat man das Gefühl, die Schauspieler wurden wochenlang bei Wasser und Brot durch den Schlamm gejadgt, so fertig sehen die schon nach der Hälfte des Films aus.
    Und DAS ist genau die WÜrze des Films, es gibt keine Superhelden, die mal kurz aufräumen und alles ins Lot bringen. Hier verzweifeln die Menschen. ( Am Drehbuch, an den Dialogen und am Kantinenessen ) Und das sogar ziemlich glaubhaft. Keine Schönlinge, die auch nach dem zehnten Alienangriff besser aussehen als ein „Herr“ Amthor ( oder NebendemThor? ).

    Danke für die Besprechung! Das muss mal gesagt werden!

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