Film- und Serienkritiken

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Als wir uns selbst erkannten: Deutschlands Landstriche im TV

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Wie sehen wir Deutsche uns eigentlich selber in Serien und Filmen? Wovon träumen wir, wenn wir uns nachts an einen Steinhang am Bayrischen Wald ankuscheln und das Weißwurst-Sternbild am Himmel suchen? Für unser heutiges Special „Pampa für Kartoffelköppe“ beleuchten wir kurz ein Genre, das trotz der Erfindung des Katalysators, pulverisierten Schweinefutters und Ansteck-Mikrophone immer noch nicht auszusterben droht: TV-Drehbücher mit Leuten, denen beim Holzhacken permanent das Beil in der Stirn stecken bleibt. – Hack ab:

Ganz wichtig für Germano-Gierschlunde: Handlungsorte im Grünen!

Deutschland ist ja ein eher grüner Bundeslandcontainer – das einzig Braune sind hier die Berge, Äcker und Weinfässer, die sich gravitätisch über der Erden Rund erheben. Auch wenn die Rundheit der Erde in eben jenen Gebieten bezweifelt wird…

Ob Beziehungskomödie (die wie eine surrealistische Groteske von David Lynch wirkt), Kriminalfall oder ein undefinierbarer Genremix aus „The Best of Dorfseppel-Vorurteil“: 57,8% aller Fernsehfilme und Serien spielen in Klöstern oder Schlösschen, die an oder gleich IN einem malerischen Flüsslein liegen. Oooder der schwerreiche Großgrund(los)besitzer hat seine Villa im Jugendstil der 1800er-Jahre mal eben in der tiefsten Wallachei bauen lassen, was ihn aber nicht davon abhält, in jeder dritten Einstellung in einer Münchner Management-Klitsche zu sitzen und seiner Sekretärin vorzuheulen, dass seine Tochter diesen „Taugenichts“ heiraten möchte. In der ursprünglichen Drehbuchfassung vermutlich noch „Unhold“ oder „Günstling“ genannt, bevor der Regieassistent erfolgreich darauf hinwies, dass man immerhin das Frauenbild der 60er Jahre verwendet und daher auf Begrifflichkeiten verzichten sollte, die bei „Facebock“ einen Daum… Geißbock-Huf nach unten bekommen könnten.

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„Hubschrauber abdrehen, abdrehen! Das ist nicht die Schwarzwaldklinik!“ – Drei Zimmer, Küche, Ballsaal: Beim Pichelsteiner Landschaftseintopf von Rosemunde Hitler werden Klischees rausgefurzt, bis die Hämorriden Trauer tragen. Woran rein praktisch natürlich nichts auszusetzen ist, schließlich gibt es in unserem Land genügend Trinkwasser und Rattengiftvorräte. Aber daaaafür sind immerhin die Landschaften schön (*grüne Tapete vor die Fensterscheiben nagel*)…

Deutsche Serien und Filme erinnern uns stets mit rührender Heimatschutz-Rolligkeit daran, dass die Reichen und Drögen auch heute noch Bedienstete haben können (die seit 5 Generationen für die Familie arbeiten, während die entsprechende Schauspielerin seit 60 Jahren versucht, von Tablett-Schlepper-Rollen wegzukommen). Und sie gemahnen uns daran, dass der Herr Pastor in ländlichen Gebieten (alles außerhalb dem Ortskern von Hamburg, Berlin und München) durchaus gefragt werden sollte, ob man sich auf Swingerclubs und Onlinebanking einlassen sollte. Durch lichtdurchflutete Power-Wohnzimmer stolzieren gleichzeitig arme Schönlinge, engagierte Kinderärztinnen und intrigante Lippenstift-Bitches, um mit ihrem eindeutigen Minenspiel jede zweite Figurenebene zu vermieden und selbst eine 1,1-te erbarmungslos auszumerzen. – Denn: Im Merzen der Bauer die Rösslein anspannt, jahaaa!

Ab und zu sieht man dann auch mal ein Pflegekind oder zu-Besuch-seiendes Nachbarblag am Frühstückstisch in den Cornflakes wühlen, nicht selten anderer ethischer Herkunft, damit sich die Deutschen endlich mal an den andersgesichtigen Abschaum von den Weingütern und Pfarreien ANDERER Länder gewöhnen. Herrrrschaftszeiten noch amol! – Die schöne Hausherrin starrt dazu auch mal ratlos aus dem Fenster, gegen das der Regie-Praktikant mit hellem Strahl zu pillern hat, damit der vermeintliche Wolkenbruch die Zerrissenheit der Figur widerspiegelt, die übrigens meist figürlicher und starrer ist, als es selbst einem Schach- oder Mensch-ärgere-Dich-Nicht-Spieler recht sein dürfte!

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„Ich trinke auf das zehnjährige Bestehen des ‚Pinguin-Puffes‘, der unserem Herrn Stadtrat und anderen Perversen schon lange sehr viel Freude bereitet!“ – Schwarz-Weiß-Gold: Mit über 10 Staffeln und locker über 20% Marktanteil ist „Um Himmels Willen“ (Sparkiller: „Passt so, der Titel!“) eine Erfolgsserie, für deren Einstellung man den Besuch des Antichristen zumindest billigend in Kauf nehmen würde.

Meist geht es um zerflossene Liebschaften, die entweder wegen eines tragischen Motorschadens einer abstürzenden Yacht in die Wege geleitet wurden, oder aber durch die Tatsache, dass Ex-Gatte Reinhold diese tolle Stelle im australischen Sonnenuntergang angenommen hat. Gerne vermissen die Kinder (sowohl Pflege-, als auch Adoptiv-, als auch die vom Schullandheim entführten) dann auch mal den Papa. Manche pubertieren sogar mit 17 – aus reiner Böswilligkeit – vor sich hin und bereiten Mutti, Schrägstrich der Haushälterin, großen Kummer, weil sie sich bei der „Heimseite“ vom FBI „eingehäckt“ haben. Damit auch die Oma im 200-Quadratmeter-Hause versteht, warum ein „Hacker“ keine Holzscheite für den geliebten Ofen produziert, wird natürlich noch erklärt, was ein Computer (oder auch das FBI) eigentlich ist…

Meist gibt es dann noch die böse Macht im Hintergrund, die so diffus wie ein Sch(w)einwerfer durch das Haupthandlungsimitat strahlt. Das kann das fiese Jugendamt sein („Wenn ihre Kinder nicht bis Ostern ihren Spinat essen, kommen sie in meinen Aktenschrank!“), ein grantelnder Großinvestor („Ich werde diesen ganzen Bundesstaat kaufen, like we Americans do! Ich komme wieder, wenn ich herausgefunden habe, where we are here!“), ein Typ vom Finanzamt („Sie müssen Steuern für 200 Jahre nachzahlen!“ *Sack aufhalt*) oder irgendein Wutbürger, der partout nicht möchte, dass das Landhotel mit einem Güterbahnhof untertunnelt werden soll.

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In „Mord mit Aussicht“ (YouTube) verschlägt es eine Polizist in die tiefste Eifel. Angeblich soll diese Serie gar nicht so übel sein und das Landleben gar humoristisch aufs Korn nehmen. Schauspielerisch habe ich tatsächlich schon Schlimmeres gesehen, was aber… äh… wohl nicht für die Rückseite der DVD-Staffel-Verpackung reichen würde?

Wenn es etwas weniger für’s Herz sein soll, kann es aber auch mal nur um Kriminalfälle gehen. Dann klären liebenswerte Quereinsteiger (Anwälte, Priester, die Privatkellnerin des Priesters) gerne auch mal im Brustton des Dialektes, warum das Dorfluder (= Ausschnitt an der Bluse OHNE im Biergarten zu arbeiten!) wohl von einem Unbekannten vom Heuschober gestoßen wurde. Dann sind dann ALLE verdächtig, die im letzten halben Jahr in einen Kuhfladen gelatscht sind, da Fladenreste am Tatort gefunden wurden… Könnte aber auch das Drehbuch sein.

Besonders „toll“ fand ich damals schon „Der Bulle von Tölz“, wo ein Dickenwitz-Anheizer mit unverständlichem Gebirgsgestammel das Quellwasser aufmischte. Irgendwo war schließlich immer ein Kuhhirte über die Omma vom Nachbarhof hergefallen oder hatte sich ein Schaf illegal vom Filmcutter scheren lassen. Das Ganze gab’s mit einem Tempo (welchem?) und Klischee-Gewitter, dass einem vor Schreck gerne mal die Ziege vom Penis fiel.

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„Ja, do schau her! Von hier oben kann man ja den Heuhaufen von Bauer Michl noch sehen!“ – „Naaa, mei Bub! Das ist doch nur das Sauerkraut, das ich dir für dein Abendessen herausgestellt habe!“ – Mit der geblümten Couch in den Sessellift: Dickenwitze sollten hier eigentlich – nach einem Blick auf das Drehbuch – entbehrlich sein, aber: Sie befreien!

Mit dem Tölzer Verbrecher- und Stimmbandhasser sind wir jetzt übrigens bei den Privatsendern gelandet, wo es heutzutage eigentlich andere Fernsehfilme gibt: Weniger Wies(e)n, dafür mehr Halteverbotsschilder. Die kitschigen Liebes(ver)treter gibt es nämlich meist in Großstädten, wo garantiert inkompatible 30-Jährige (ER Millionär, SIE Occupy-Unterstützerin) in Fitnessstudios und Bürokulissen nachspielen, was „Ally McBeal“ im letzten Jahrtausend schon besser gemacht hat. Gerne wird es hier auch mal etwas fantastisch! Dann wird zuverlässig der letzte Körpertausch-Rotz oder „Was Frauen wollen“ mit Mel Gibson nachgespielt, ganz und gar abgesegnet von gelegentlichen Schutzengeln von Haarspraywolke Nummero 7 und Geistwesen mit der Lizenz zum Dasein und Verlieben, wenn man schon mal da ist.

Aber das ist dann schon wieder ein anderes Thema, das zu einem anderen Zeitpunkt mit meinem spät entdeckten Tourette-Syndrom kombiniert werden sollte… In diesem Sinne: Die Nörgelkommentare („Gibt doch auch gute Serien, was regst du d… mich so auf?!“) mögen beginnen! Ich putze schon mal die Obstschale für die Gäste…

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Artikel

von Klapowski am 04.03.12 in All-Gemeines

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Kommentare (5)

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  1. Doughnut sagt:

    „Pinguin-Puff“, sehr schön. XD
    Netter Rant, auch wenn du dich an dem Thema etwas sehr oft abarbeitest.

    Anmerkungen:
    „nicht selten anderer ethischer Herkunft“
    Ist das ein Gag oder ein Fehler? oO

    Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen sollen übrigens eher die Schönheit der englischen Kanalküste als die der deutschen Provinz zur Schau stellen und werden wohl auch in England gedreht … hab ich irgendwo gehört. Am Ende macht das aber sicher keinen Unterschied, die Weltsicht ist ebenso spießig.

  2. G.G. Hoffman sagt:

    Was ich gar nicht mehr sehen mag, ist die Eifel. Dieses doch eher überschaubare Gebiet gilt den Drehbuchschreibern aus Köln als grenzenloses Urwaldgebirge mit skurrilen Eingeborenen. Im Vergleich zu anderen deutschen Provinzen handelt es sich hingegen um ein übervölkertes Hightechgebiet. Wer richtig unwirkliche Gegenden sucht, sollte in der Region um Versmold oder in der Altmark drehen. Dort wo es totlangweilig ist und sich mangels jeglicher Attraktion kein einziger Tourist hinverirrt. Die Locationscouts des deutschen Fernsehens sind da eher uninspiriert: bis zum Erbrechen Alpen oder Dresden, aber keine einzige Produktion die im hessisch-thüringisch-bayerischen Grenzgebiet spielt, nur weil da keine Straße hinführt.

  3. Biermaaan sagt:

    Moment, es gibt wirklich Leute die deutsche Produktionen im Fernsehen anschauen? Ich dachte immer das ist ein Riesen Scamm von der Filmförderung, um noch mehr Geld abzugreifen.

    Oder du gehörst auch zu IHNEN. *AluHutAufzieh*

  4. bergh60 sagt:

    tach auch !
    Mord mit Aussicht ist cooler Kult.
    Teilweise ist Heiter bis Tödlich
    (Ja Klapo aus dem Vorabendprogramm) recht witzig.

    Den Rest, sofern ich ihn jemals weggezapped habe, kann
    man vergessen.

    Aber warum spielt nicht mal was in der Uckermark?
    Da wo Kanzlerinnen gedeihen und man mit Eseln wandern kann.

    @ GiGi Hoffmann
    Versiebt in Berlin war im gegensatz zu Drsden auch nicht
    DIE LOCATION, oder ?

    Gruss BergH.

  5. sgk sagt:

    Stimmt. Ich würde noch ergänzen wollen:
    Beliebt sind „fremdländische“ Umgebungen, bei denen entweder
    – alle 2 min jemand sagt „ist das nicht herrlich hier“, um darauf hinzuweisen, dass man wirklich in Urlaub ist;
    – oder die Kulisse, z.B. Venedig, wird dadurch kontrastiert dass die deutschesten Schauspieler seit Hans Albers versuchen, Italiener darzustellen, in dem Sie sich total deutsch verhalten und regelmäßig einen Capuccino nach dem Essen (!) bestellen.

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