Film- und Serienkritiken

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Futuristisch Vereinsamen – Das Pflegeheim der Zukunft

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Wir alle werden einmal alt, unser Ex-Chefredakteur G.G.Hoffmann sogar mehrmals hintereinander(!) und unter täglichen Jubelrufen beim Abreißen des Wandkalenders. Doch wie wird in einigen Jahrzehnten die Altenbetreuung aussehen, wenn nicht mal mehr jemand DA ist, der einen gar nicht haben will? Nach einem Alptraum, den ich letzte Nacht hatte, musste ich einfach diesen Artikel zur fernen Zukunft schreiben, der vollkommen visionär ist. Warum? Weil er nicht davon ausgeht, dass wir dann alle bereits an der Todesursache „Atomkraftwerk“ verschieden sein werden…


„Herr Klapowski, haben Sie noch einen Wunsch?“, schnarrt der penetrante Pflegeroboter mit dem Kindchenschemagesicht neben meinem Bett. Er sieht aus wie die größere Mangaversion der Robbe „Paro“, die vor Jahrzehnten die Altenpflege revolutionierte. Warum man uns Alten bis heute niedliche Wesen vorsetzt, die mit anderer Programmierung auch an Kindergärten verkauft werden, ist mir ein Rätsel. Ich mag ein Greis sein, aber Glubschaugen und Haare an den unmöglichsten Stellen habe ich selber genug, dafür brauche ich keinen Robben-Roboter, verdammte Inzucht! Wenn man 105 Jahre alt ist, will man sich mit vertrauten Dingen umgeben; einen plüschigen Pelzpenner habe ich aber selbst bis zu meiner Rente mit 70 niemals kennengelernt. Dabei habe ich zuletzt sogar im Hundezwinger hospitiert, um mit 69 über die Runden zu kommen und den Auflagen des Arbeitsamtroboters gerecht zu werden!

Egal. Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn die beruhigend gemeinten, wellenartigen Lichtreflektionen an der Decke haben nun einen anderen Rhythmus als zuvor. Manchmal erinnern sie mich an Sturzdurchfall oder blühende Pissnelken. Ich weiß, dass die Farben je nach meinem Befinden automatisch wechseln, diktiert von meinen Blutwerten, dem Blutdruck und meinen Stresshormonen. Eine der beliebt gewordenen Geronto-Studien hatten vor Jahren ergeben, dass man bis zu 28% der Medikamente sparen kann, wenn man diese moderne Form der Farbtherapie einsetzt.

Da ich Diabetes, Depressionen und Zynismus habe, hilft mir angeblich Orange. Verdammte Zitrusfruchtfarbe für schwule Südländer! Hätte damit früher noch nicht mal meine 2-Quadratmeter-Wohnküche gestrichen, wenn sie nicht nur aus einem Proteinersteller in der Alten-WG bestanden hätte, in der ich vor dem Altenheim gewohnt habe. „Aber, aber, Herr Klapowski! Das wäre so, als würde man eine Mikrowelle von innen mit Wandfarbe streichen“, hatte die Sozialarbeiterin gesagt, die alle 12 Monate gewissenhaft vorbeikam, um nach uns zu sehen. Die dumme Kuh! Früher, als es noch Internet gab, da hat man meine Scherze verstanden, heute hält man sie für seniles Gefasel eines… äh… was bin ich doch gleich?

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Hier ein Bild meiner letzten Alten-WG, bevor ich aufgrund meiner Probleme mit Elektrogeräten, Badewannen und Elektrogeräten in Badewannen in den BSIP (Betreuter Senioren-Industriepark) eingewiesen wurde. Hätte ich doch damals wenigstens privat vorgesorgt, dann… wäre ich heute wohl auch hier, hätte aber weniger Geldscheine. Die sind auf 8 Quadratmetern nämlich gar nicht so leicht zu verstecken, wenn Matratzen und Kissen angenagelt und nanoversiegelt sind.

Ich knurre kurz und huste, mehr aus grantiger Gewohnheit als zum Umwälzen meines seniorenhaften Rachenschleimes, den ich natürlich ebenfalls besitze.

Ich setze mich auf und sehe nach rechts. Mein Zimmernachbar Sparkiller ist nicht in seinem Bett, einer mit Kackedetektoren ausgestatteten Verwahr-Furzmulde mit runterklappbarem Fernsehschirm am Kopfende. Sparki muss wohl in der Ergotherapiekapsel liegen, nebenan. Angeschlossen an diverse Sensoren, Berührungssimulatoren und eine Virtual-Reality-Brille bekommt er vermutlich wieder den Eindruck vermittelt, mit 4 nackten Weibern am Strand zu liegen. Ich finde das empörend, aber da es schon im Jahre 2010 in Holland Sextherapien für Demente gab, war dies wohl nur der nächste logische Schritt in den… Schritt. Morgen wäre ich dann dran. Ich wähle dann stets einen Waldspaziergang, weil ich auch im Virtuellen inzwischen meine Ruhe will und es im verdammten Fake-Wald garantiert nichts Orangefarbenes gibt.

Mit den Worten „Haben sie wirklich keinen Wunsch mehr?“ bringt sich der Pflegeroboter wieder in Erinnerung. Manchmal möchte ich ihm seine blöde Kautschukfresse zerschlagen, die – immerhin – sehr glaubwürdig Emotionen vermittelt, auch wenn Robben irgendwie immer wie Sonderschüler aussehen. Anfangs wollte ich mich ja nicht mit diesen Dingern unterhalten, aber irgendwann behandelt man die sprachverstehenden, kafkaesken Alpträume aus „Brehms Tierleben“ dann doch wie reale Wesen. Normales Pflegepersonal sieht man ja nur noch selten heutzutage und wirkt irgendwann fast erschreckender als die aufgedunsenen Ballonköppe der Maschinenhelfer.

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Früher konnte man sich „Skins“ für seine Pflegeroboter aussuchen, wie in diesem Falle einen Bärenkopf oder alles andere, was auf einen umgedrehten Nachttopf gepinselt werden kann. Doch als die FDP im Jahre 2074 ausrechnete, dass nicht der kleinste Hotelier etwas von diesen Mehrausgaben hatte, wurde diese Leistung des Gesundheitswesens gestrichen – statt weiter angemalt.

„HaltdieFresse,Schraubenkopp!“, nuschle ich geübt zu ihm herüber. Der Beschimpfte antwortet rasch: „Ich habe sie leider nicht ganz verstanden? Meinten sie ‚Essen: Schaumkopf‘?“
Nur, weil ich sonst nichts zu tun habe, entschließe ich mich, meinen mechanischen Diener weiter zu verwirren: „Ich will Windelkacka mit Bratwurst an der Lampe! Hubuh! Die Nase ist ein Königreich!“ Prompt dauert es einige Sekunden, bis das Elektronengehirn Millionen Möglichkeiten durchgerechnet hat, was wohl die wahrscheinlichste Aussage meiner Worte gewesen sein könnte:
„Es tut mir leid, ich verstehe sie immer noch nicht. Haben sie Hunger auf Bratwurst? Abendessen gibt es erst gegen 18 Uhr.“ Ich möchte eine noch blödere Antwort geben, lasse es aber. Wenn der Zentralcomputer im Keller zu viele meiner Sätze nicht versteht, signalisiert er nämlich „Demenzgefahr“ und zwingt mich, irgendwelche an die Decke projizierten Testfragen zu beantworten. So ein Scheiß, wie: „Wenn Helga drei Mädchen und einen Jungen entbindet, wie viele Kinder hat sie dann? (Gehen sie davon aus, dass keine Kinder geklont wurden)“

„Ich ertrage es nicht mehr!“, murmele ich beim Gedanken an derlei aufgezwungenen Lebens(end)abschnittsbeschäftigungen.
„Ja, ich trage sie!“, sagt der Pflegeroboter, nickt und fährt mit seinen Armen geübt unter meinen Rücken.
„Nein, du Scheißhaufen! Lass mich!“
„Sie möchten also ‚Scheißhaufen‘ (Der Roboter sagt es mit meiner eigenen Stimme), also einen Toilettengang vornehmen? Ich helfe ihnen gerne dabei!“ – Schon hebt er mich mit einem leisen Surren an, dreht sich geschwind um die eigenen Achse, saust in die Nasszelle und setzt mich auf den High-Tech-Topf. Sogleich starren mich seine dunklen Augen mit den freundlich designten Plastikwimpern erwartungsvoll an.

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Trotz animierender Holokacheln und anderen, erzieherischen Bespielungsversuchen („Nur ein guter Skispringer macht kein Haufi ins Bett!“) sind die Altenheimtoiletten der Zukunft immer noch winzige Entsorgungszellen. Kollege Sparkiller kackt übrigens am liebsten als Elfenkrieger im Rollenspiel „Another World of Warcraft XII“.

„Ich will nicht kacken!“, rufe ich und schlage aus Protest auf den Lokusrollenhalter. Das Orange an der Decke wird zu einem penetrant beruhigenden Blattgrün. „Ja, kacken sie jetzt. Haben sie Probleme mit der Entleerung? Benötigen sie eine Darmspülung?“ Mir reicht es! Ich springe auf, quetsche mich in der kleinen Nasszelle an meinem Helfer vorbei, öffne die Tür und renne auf den Flur. Zu spät fällt mir ein, dass es hier keine Flure gibt, sondern die Pflegezimmer übereinandergestapelt wie auf Containerschiffen herumstehen und nur dann bewegt werden, wenn es einen guten Grund gibt.

Ich stürze 30 Meter in die Tiefe, meine beim Fallen aus einem der anderen Zimmer den Satz „Ich will nicht pinkeln, verdammt!“ zu vernehmen und schlage auf den Asphalt. Als das Knacken meinen morschen Körper durchfährt und mich tötet, bin ich sogar ein bisschen froh, dass diese Geschichte ohne den emotionalen Höhepunkt oder dem Schlussgag endet, mit dem jeder außer dem Autoren gerechnet hat.

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Artikel

von Klapowski am 28.03.11 in All-Gemeines

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Kommentare (2)

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  1. biermaaan sagt:

    Schöne neue Welt ;) Schick geschrieben Klapo, du beherrscht das Surreale schon so gut wie Kafka.

  2. Donald D. sagt:

    Da bekommt man ja Angstzustände. Man sollte Deinen Traum verfilmen, Klapo! Ich nehme an, daß es sich dann einen Menge Leute überlegen werden, wirklich alt werden zu wollen. Nachdem ich das jetzt las, möchte ich am liebsten sofort von der Brücke hüpfen. Aber den weiten Weg zur nächsten Selbstmordbrücke spar´ ich mir, denn wir werden sowieso alle verstrahlt.
    Grauslicher Artikel. Gut geschrieben, aber grauslich.

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